Das Universum muss in einem Labor entstanden sein. Ein solcher Eindruck könnte zumindest entstehen, wenn die Wissenschaft und im speziellen die Medizin des 21. Jahrhunderts genauer unter die Lupe genommen wird.
„Erkenntnisse“ über den Menschen und seine Umwelt werden im 21. Jahrhundert präferiert in einem kleinen weißen Raum gewonnen, der bis auf den Grund sterilisiert wurde, um potentielle Störfaktoren zu eliminieren. Nur in kleinen transparenten Behältern – Petrischalen mit Nährböden – wird dem Leben noch zugestanden, wachsen zu dürfen. Aber eben nur in dem Maße, wie es für die eigenen Forschungszwecke gestattet ist. Ansonsten hat das Phänomen Leben innerhalb dieses empirisch orientierten Mikrokosmos keine Bewandnis mehr.
Doch welche Geheimnisse wird der Makrokosmos schon über sich offenbaren, wenn der Mikrokosmos nur innerhalb der Erwartungen des Menschen über Objektivität existierten darf? Wie hoch ist der Wahrheitsgehalt von Beobachtungen, die nicht in der natürlichen Umwelt stattfinden, sondern nur unter kontrollierten Bedingungen? Und welche Argumente gibt es für eine Wissenschaft, in der die Natürlichkeit nicht an den Randbereich der Existenz verbannt wurde? Dies gilt es zu erörtern.
Die Etablierung der Laborwissenschaften ist eine logische Folge der begrenzten Sinneswahrnehmungen des Menschen: Die verschiedenen blinkenden Apparate wie Mikroskope, Elektrophoresen und Zentrifugen sollen helfen, die Sinneswahrnehmungen zu erweitern, um noch genauer beobachten und messen zu können. Die morderne Wissenschaftsgeschichte erscheint zugleich als eine zunehmende Priorisierung der Empirie gegenüber der Logik. Ein Fakt gelte nur als gesichert, wenn wiederholbare Experimente verlässliche Prognosen über das Ergebnis ermöglichen. Einwände theoretischer Art seien demgegenüber in der Praxis kaum relevant und werden meist eher als störend empfunden. Von Gedankenexperimenten und Analogieschlüssen erwarten bis auf einige wenige Philosophen kaum Empiriker einen Erkenntniswert. Aber warum eigentlich?
Mit der Etablierung der Medizin als Naturwissenschaft ist das Interesse an dem Außergewöhnlichen, dem Mysteriösen und Unberechenbaren verloren gegangen. In unserer heutigen Zeit glauben wir bereits alles zu wissen, weil wir alles objektivieren können. Die Prozesse und Phänomene im körperlichen wie seelischen Erleben werden hier bis auf ihre Bestandteile zerlegt und analysiert. Letztlich wird dadurch die Biologie nicht zu Chemie oder Physik reduziert, sondern im tiefsten Kern eine angewandte Mathematik. Der Mensch erfährt Heilung nicht (mehr) durch göttliche Gnade, energetische Kräfte oder durch unvorhersehbare Ereignisse wie Spontanheilungen, sondern durch einen binären Code, der sich durch das Leben zieht.
Der Mechanismus als lineare Kette von Kausalitäten macht den Menschen selbst in Bereichen wie Religion und Psychologie zu einer Maschine, wo doch eigentlich das Wunder der Lebendigkeit im Zentrum steht. Übrig bleibt dann nur ein seelenloser Apparat, ein zufälliger Haufen an Zahlen, der sich zwar unerklärlicher Weise eigenständig zusammenfügen und erhalten kann, der aber abseits davon vollkommen erfassbar und verstehbar ist.
In manchen wissenschaftlichen Paradigmen wie der Systemtheorie oder der Verhaltensbiologie wird vom Menschen als eine Blackbox gesprochen. Das bedeutet, dass äußere Merkmale erkennbar und interpretierbar sind, innere Strukturen jedoch nicht bekannt oder zu komplex, um sie zu postulieren. Das reine Labor erscheint demgegenüber aber eher als eine „Whitebox“. Während dem Forscher im Labor alles bekannt und durchdacht ist, sind die Erkenntnisse, die dort gewonnen werden in keiner Weise auf die Außenwelt übertragbar. Alles, was nicht kontrollierbar ist, wurde schließlich aus diesem Raum verbannt. Und damit sind die Methoden, die dort angewandt werden können, fundamental verschieden von der Wirklichkeit, wie sie für jeden Menschen erfahrbar ist.
Leben als Phänomen passiert schlicht, es wird jederzeit neu geschaffen, ist jedoch viel zu komplex, um auf einfache mathematische Gleichungen reduziert zu werden, die letztlich den Zweck erfüllen sollen, Prognosen über den Menschen und seine Umwelt anzustellen. Es ist erkenntnistheoretisch durchaus zu hinterfragen, ob der Mensch jemals relevante Erkenntnisse über das Thema Medizin erlangen kann. Jedes Modell – und so es noch so ausgetüftelt – bietet nämlich nur ein sehr kleines und limitiertes Abbild der Wirklichkeit, denn die Komplexität der Wirklichkeit muss hierbei sehr stark reduziert werden.
Hinzu kommt, das Heilung kein Prozess ist, der mit herkömmlichen Mitteln erzwungen werden kann. Dies sehen wir am gescheiterten Versuch der Biomedizin, die Behandlungserfolge zu verbessern, während die Behandlungskosten immer weiter steigen. Heilung wird weder physisch noch psychisch erlangt – es ist viel wahrscheinlicher, dass Heilung ein Phänomen ist, das außerhalb dualistischer Konzepte stattfindet. Eine Lokalisierung im Bewusstsein oder Unterbewusstsein, im Körper oder Geist, in Empirie oder Theorie, in Mensch oder Umwelt, in Individuum oder Gesellschaft ist schlicht unmöglich.
Es ist gerade die Grenzerfahrung, in der der Mensch sich selbst entdecken und erfahren kann, die ihm einen neuen Wert für sein Leben bietet und ihn zu erstaunlichem befähigt. Das Labor hat diesen Wert verloren, hier wird der Mensch in seinen Kräften beschnitten und dadurch in den Nihilismus gedrängt.
Da auch das Universum nicht in einem Labor entstanden ist, sollte auch der Mensch nicht von dort aus betrachtet werden. Eine menschengemachte Medizin sollte eine menschengerechte Medizin sein. Sie gehört wie Gesundheit generell in die Hand des Individuums, nicht des Spezialisten. Nur so kann der Polarisierung und dem zunehmenden Verlust des Animismus in der Medizin entgegengewirkt werden. Mit einer Kritik des reinen Labors.
P. S. der Titel ist an Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft angelehnt. Bei getabstract gibt es eine Zusammenfassung des philosophischen Werkes. Das bahnbrechende an Kants Gedanken war, dass er zwar argumentiert hat Konstrukte außerhalb der Sinneswelt (z. B. Liebe, Gott) können mit dem Verstand nicht bewiesen werden, müssen aber trotzdem gedacht werden. Damit hat Kant den Grundstein für den deutschen Idealismus gelegt und eine Einführung des Animismus in die Philosophie ermöglicht. Auch wenn die Philosophie wieder davon abgekommen ist, so ist eine Revolution in der heutigen Wissenschaft ebenso notwendig wie sinnvoll. Der Geist als Gegenbegriff zur Materie bietet Orientierung in einer zunehmend komplexer werdenden Welt.
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Dieser Podcast ist ungewöhnlich, denn hier geht es ums Ganze. In spannenden Folgen sollen die Ideen unterschiedlichster Denker der Philosophie und Spiritualität deinen Horizont bereichern und ein Bild von Lebendigkeit und Beseeltheit erschaffen. Sei es nun zum Thema Gesundheit, Natur oder Selbsterkenntnis – alles hängt zusammen.
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